Als ornithologische Reiseleiter und Natur-Reiseleiter verbringen wir rund sechs Monate im Jahr in Mittelamerika.


Tief im Amazonasregenwald: unterwegs im Regenwald von Suriname
Wir hatten ziemlich genau drei Wochen, um einerseits den Großraum Paramaribo mit einem Mietwagen kennen zu lernen, neue Hotels auszuprobieren. Somit um Reiseziele, die Naturfreunde und Ornithologen ansprechen, zu testen. Denn die Qualität der Beratung und intensive Landeskenntnisse dann bei der Gestaltung guter Naturreisen sind uns wichtig.
Spontan kam uns dann die Idee, einen mehrtägigen Regenwaldausflug zu machen, um den legendären Tieflandfelsenhahn zu "spotten". Wir hatten es noch nie gesehen, dieses „verrückte orange Huhn“. Und wir hatten davon gehört, dass es eine Region gibt, in der die Möglichkeit besteht, ihn zu finden. Das war leichtsinnig.

Also gemacht, getan, buchten wir die dreitägige Tour in einem seltsamen, zwielichtigen Office in Paramaribo inklusive An-und Abtransport. Ohne ganz genau zu studieren, was mit dieser Tour an Strapazen ins Haus steht.
Kamlesh war unser Guide, er holte uns frühmorgens in Paramaribo an einem zentralen Hotel ab. Er sprach etwas Englisch und natürlich Niederländisch. Mit uns begab sich noch eine Handvoll junger Touristen mit auf die Abenteuertour. Unter anderem eine Gruppe von belgischen Krankenschwestern in Ausbildung. Sie wollten aber alle nur bis zur dem Ausgangspunkt der Regenwaldexpedition, dem Fungu Eiland, mitfahren, also nicht den Tieflandfelsenhahn suchen.
Das Auto, in welches wir einstiegen, ließ erahnen, welche Piste uns erwarten würde.
Unsicher fragte ich Kamlesh, wie lange wir ungefähr unterwegs sein werden, auf der Piste, um dann auf ein Boot umzusteigen. Es war, wie vorher angekündigt, nämlich eine 4x4-Strecke zu absolvieren und eine Bootstour, um zu Fungu Eiland zu kommen. Er deutete an, dass es den ganzen Tag dauern würde. Okay, angefangen, dann wird’s auch durchgezogen. Der Weg ist das Ziel.
Aus Paramaribo südlich heraus fuhren wir zunächst die noch ganz passable Straße in Richtung Flughafen,welcher sich rund 50 km südlich der Hauptstadt des 500.000-Einwohner Staates befindet. Hinter Zanderij ging es auf die „West Verbinding“, einer einfachsten Lehm- und Schotterpiste immer Richtung Westen.


Auf dem wilden Coppename Rivier
Es folgte eine wunderschöne Regenwaldflussfahrt. Kein Dörfchen, keine Plantage nur dichter Regenwald war zu sehen. Die Wolken wurden dichter und Regen begann. Erst recht zögerlich, dann wie unter der Dusche. Das offene Motorkanu füllte sich mehr und mehr mit Regenwasser und wurde dadurch nicht unbedingt leichter. Den Captain und seinen Assistenten sowie Kamlesh kümmerte das relativ wenig. Sie versuchten, sich mit Plastikfolien vor dem Regen zu schützen. Und folgten stoisch ihrem Kurs durch die rechts und links aus dem Wasser ragenden Felsen und Sandbänke.
Durch den Regen und die schlechter werdende Sicht musste das Tempo etwas reduziert werden und es deutete sich an, dass die Fahrt länger dauern würde.

Das Boot hing so tief im Wasser, dass wir mehrmals aussteigen mussten um anzuschieben, wenn wir auf Sandbänken festhingen.
Also nicht alle Passagiere, aber natürlich die „starken Männer“. Mein Vormann schaute mich an und fragte sich: Hier könnte es doch Piranhas und Krokodile geben? Und schaute auf seine Füße, ob er seine Sandalen für das den Sprung ins Wasser ausziehen sollte? Nass war ohnehin alles bis auf die Haut, der Regen war heftig.
Wie von mir vermutet, schafften wir es vor Einbruch der Dunkelheit nicht. Es wurde dunkel und die Fahrt wirklich gefährlich. In solchen Momenten ärgere ich mich ein bisschen über die sonst so von uns Mitteleuropäern viel beneidete Eigenschaft der Einheimischen, in den Tag hinein zu leben und unbekümmert zu sein.
Der Bootsführer war kaum in der Lage, bei der schlechten Sicht, ohne Beleuchtung, die Spitze des Bootes zu sehen und fuhr doch mit geschätzten rund 5-6 Knoten die Stromschnellen flussaufwärts im Slalom durch die Felsen. Gegen 19:30 Uhr erreichen wir die Unterkunft im Stockdunkeln. Kein Strom, kein Licht. Diese Unterkunft im Regenwald ist auch normalerweise nicht bewohnt, sondern wird dann nur von den ankommenden Gästen oder Besuchern genutzt. Von einer Unterkunft zu reden, ist vielleicht auch etwas übertrieben. Es sind offene Hütten mit Holzspaltenboden, auf Stelzen gebaut und mit einem halbdichten Dach.

Es war dann ein wirklich geselliger Abend mit netten Gesprächen. Kaum einer hatte sich diesen Ausflug so vorgestellt. Wir hatten ein Einzelzimmer bestellt, welches aber seinen Namen eigentlich nicht verdiente. Einfachste Pritschen mit versifften Matratzen und einer Sanitärzelle, die nicht benutzbar war, fanden wir vor. Baulich und hygienisch in einem unbeschreiblichen Zustand, ohne Fliegengitter. Die Mitreisenden hatten sich das Schlafpodest im Freien "gegönnt", wahlweise mit Hängematte oder schmutziger Matratze.
Die Expedition zum Tieflandfelsenhahn
Der Morgen war wunderschön: Auf dieser sonst unbewohnten Insel waren wir inmitten des Amazonasregenwaldes, fernab von jeder Zivilisation. Da darf man natürlich auch nicht meckern, dass es kein zivilisierten Standard gibt.
Wir hatten uns für den heutigen Tag einen einheimischen Guide reserviert. Man hatte uns gesagt, er würde den Weg zum Tieflandfelsenhahn kennen.

Erst hörten wir sie dann sahen wir sie: die berühmten orangen Tieflandfelsenhähne. Zuerst nur einen einzelnen Felsenhahn und dann eine ganze Gruppe bei der Balz. Ein wunderbares Spektakel, welchem wir rund eine Stunde folgten. Aus rund 5 m Entfernung konnten wir ohne zu stören zuschauen. Jetzt ärgerte ich mich natürlich, dass ich meine Kamera nicht dabeihatte. So mussten wir mit dem Handy und vorgehaltenem Sucherfernglas improvisiert Aufnahmen machen. Aber da ging es letztendlich nicht drum, das Erlebnis war hier zu stark, um dann noch wirklich ans Bildermachen zu denken. Völlig fertig, verschwitzt, zerstochen, genossen wir diesen Augenblick.
Auch unser Guide wirkte erleichtert, diesen Ort doch noch gefunden zu haben. Setzte sich etwas abseits auf eine Wurzel und rauchte noch Einen.
Ich machte mir nun wieder so meine Gedanken, ob er denn jetzt auch den Rückweg finden würde, ohne Markierungen, ohne irgendwelche Anhaltspunkte, ohne Kompass?

Rund eine Stunde vor der Dunkelheit erreichten wir dann wieder Fugu Eiland, die Flussinsel und Unterkunft. Sabrina und ich, aber auch unser Guide waren bis an unsere physischen Grenzen gegangen. Die letzten zwei Kilometern hatte er barfuß zurückgelegt, seine Gummistiefel schmerzten ihn.

Humboldt und Parbo-Bier
Wir durften uns dann gerne vor Ort die Erlebnisse der übrigen Reiseteilnehmer anhören. Sie hatten einen super Regenwaldwalk absolviert, auf freigeschnittenen Wegen, eine Flussfahrt in einen Seitenarm hinein genossen und am Nachmittag im Coppename Fluss gebadet. Somit hatten alle das gemacht, was sie wollten, waren zufrieden und begeistert. Da mir die Dusche in unserer Unterkunft mir eher unbenutzbar erschien, zog ich auch ein Bad im Fluss vor. Man sollte sich hier aber immer vorsehen, wegen der Piranhas keine blutenden Wunden oder die Periode zu haben und mit den Zitteraalen nicht so direkten Kontakt zu pflegen.
Beim Abendessen konnten wir uns dann weiter über die erlebten Abenteuer austauschen. Jeder war begeistert von der überschäumenden Natur und so tauschten wir viele Bilder und Videos aus. Das Parbo-Bier schmeckte heute "echt lekker" und es war auch besser, in etwas betäubten Zustand dann ins „Zimmer“ zu gehen.
Am nächsten Morgen hatten wir noch ein wenig Zeit, die unbeschreibliche wilde Regenwaldnatur hier zu genießen. Dann absolvierten wir die ganze Prozedur der Anreise wieder rückwärts herum. Zunächst die Bootstour, diesmal mit etwas weniger Ballast, da ja die Lebensmittelvorräte etwas geschrumpft waren, dann mit dem 4×4 und Fahrer-Reiseleiter Kamlesh über die Piste zurück bis nach Paramaribo.

Dort erwartete uns das Apartment, welches wir auch schon vorher bewohnt hatten. Es war in diesem Moment schön, wieder in der Zivilisation zu sein; wir möchten dieses Regenwaldabenteuer aber auch nicht mehr missen. Wer so etwas in dieser Einfachheit erlebt hat, versteht ansatzweise, wie damals Forschende wie Humboldt zurechtkommen mussten. Wir hatten ja noch motorbetriebene Fahrzeuge und ein Team, welches uns mit Essen versorgt hat und uns den Weg gezeigt hat. In der Nachschau und mit etwas Abstand tut es uns nicht leid, dieses Vorhaben verwirklicht zu haben. Mit dem Aufhänger, den Tieflandfelsenhahn zu finden. Es war ein wirklich spannendes Abenteuer.