Kultur & Geschichte / Spanien

Transhumanz in Spanien

"Die Auswirkungen auf Mensch, Landschaft und Ökologie"
21. Juni 2022

Europa

Spanien

Traditionelle Weidewirtschaft wandernder Viehherden in Spanien

Im Frühsommer, wenn Teile der Landschaften in Zentral- und Südspanien anfingen sehr trocken zu werden, begann die Transhumanz, die traditionelle Viehwanderung samt Hirten in Spanien. Über manchmal Hunderte von Kilometern wurden Schafe, Ziegen und Rinder in die gebirgigen, höheren und damit grüneren Regionen im Nordspaniens getrieben.

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Kühe in den blühenden Dehesas - extensive Weidewirtschaft mit langer Tradition 
Für die Dehesas, also die typischen baumsteppenähnlichen Landschaften der Extremadura, entstanden schon vor der Transhumaz durch Beweidung, hatte das spezielle Folgen: Die mediterrane Dehesa kann sich gut erholen, denn sie wird in dieser Zeit weder niedergetreten, noch bis zum letzten Halm abgefressen und kann so die bescheidenen herbstlichen Regenmengen gut aufnehmen. Die Arbeit auf den Dehesas wird durch die Abwesenheit der Schafe, Rinder und Ziegen reduziert und auch die Arbeiter können die heiβen Monate besser überstehen. Auf den Bergweiden der Provinzen León und Palencia wird durch die Sommerbeweidung hingegen die Verbuschung verhindert und Weideflächen “freigefressen” – beides reduziert die Gefahr von Bränden.

Die Schafe machen ihren natürlichen Job, indem sie frisches und grünes Gras essen, natürlich düngen (umsetzen), Weideland erzeugen und mit ihrem Hufen die Bergweiden verbessern. Das wissen auch die Nordseeanrainer wegen der Deichschafe und deren Hufgetrappel zu schätzen. Nebenbei brauchen die Schafe kein Kraftfutter, was zur Verringerung des „Fußabdrucks“ beiträgt, den Wasserverbrauch reduziert und Transportwege einfach gestaltet – somit ist (wäre) die Transhumanz eine vom europäischen Markt weitgehend unabhängige Tätigkeit. In ansonsten benachteiligten und rückständigen Gegenden werden (würden) saisonale Arbeitsplätze geschaffen und verlorengegangene Berufe könnten reaktiviert und in moderne, ökologische Prozesse eingeflochten werden.

 

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Die Wolle der Merinoschafe war einst Spaniens wichtigstes Exportgut 

Diese sehr alte Praxis der Transhumanz bewegte alleine über vier Millionen Schafe. Ziegen und Rinder noch nicht mitgerechnet. Die großen Änderung gab es mit dem Eintritt Spaniens in die Europäische Union und der damit verbundenen EU-Supermarkt-Agrarpolitik. Also lange nach dem Ende des Zeitalters der Transhumanz. Gegen diese, neuen Änderungen, haben die spanischen Wanderhirten und Kleinbauern mit ihrer traditionellen, bewährten, extensiven Viehzucht keine Chance. Die positiven Auswirkungen des EU-Eintritts auf Spanien, speziell auf die Menschen und auf deren Wohlstand, sollen hier natürlich nicht unterschlagen oder nicht gewürdigt werden. Der Verlierer der Europäisierung ist aber ganz klar der Naturschutz und die kleinteilige, nachhaltige Landwirtschaft. Sie hatte früher viele Menschen in Lohn und Brot. Sicher, nicht immer hat es für Wohlstand gereicht. Spanien war in vielen Landesteilen sehr einfach und ärmlich. Frage ist aber, ob das Arbeitslosendasein und das damit verbundene Ausbluten der ländlichen Gebiete (Bevölkerungsschwund) heutzutage besser ist?

 

Die Wanderweidewirtschaft war von großer Bedeutung für den Schutz und Erhalt wertvoller Ökosysteme. Durch den Auftrieb in den Norden Spaniens wurden die Dehesas, die lichten Steineichen- und Korkeichenwälder in Zentral- und Westspanien, vor Überweidung geschützt. Streng genommen verdanken sie ihre Entstehung dieser Art von extensiver Landwirtschaft. So könnte ein Verfechter der modernen Landwirtschaft nun sagen, so eine Landschaft habe es von Natur aus nie auf der Iberischen Halbinsel gegeben und es wäre kein Verlust, wenn sie denn wieder verschwindet oder wieder durchgängig in Wald umgewandelt wird. Das Letztere würde aber auch wegen dem aktuellen Druck durch den Ukraine-Krieg und der Verknappung der Nahrungsmittel sicher nicht geschehen.

Es gibt noch ganz andere Gegenden in Spanien, wo kein Mensch angenommen hätte, hier jemals Landwirtschaft zu betreiben, in denen jetzt mit Hilfe von Bewässerung und Kunstdüngung Mais für die Schweinemast angebaut wird. Künstliche Bewässerung in der Steppe für Koteletts, ist das nicht erschreckend? Zum Beispiel in der Nähe von Zaragoza im trockenen „Landkreis“ Los Monegros. 

 

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Iberico Schweine der Dehesas 

Gefährdete Steppenvögel, wie die Großtrappe, Kleintrappe oder Triel finden genügend Nahrung für ihre Brut in den Steppen und Getreidefeldern. Aber auch auf den extensiven Weiden und in sehr offenen Dehesas. In den Dehesas leben andere in Mitteleuropa schon lange verschwundene oder seltene Vögel wie Wiedehopf, Bienenfresser und Blauracke.

Weitere Charaktervögel sind Mönchsgeier, Spanischer Kaiseradler, Kranich (als Überwinterer) oder Gleitaar. Der Iberische Luchs, Wolf und zum Teil auch der Braunbär sind hier neben Wildkatze, Manguste und Ginsterkatze heimisch. Gerade beim Iberischen Luchs gehen dank sehr engagierter Schutzbemühungen und endlich ausbleibende Bejagung die Bestände wieder nach oben. Zurzeit sind es wieder über 1250 Exemplare in Iberien.

Aber auch die Amphibien- und Reptilienarten erreichen hier in dieser Südwestlichsten Ecke Europas Höchststände. 

Diese Landschaft gilt heute (noch) als Gebiet mit der höchsten Biodiversität in Europa!

 

Um die Geschichte der Transhumanz lebendig zu halten, wurde die Fundación Global Nature selbst zum Viehhalter und ging viele Jahre lang mit einer Herde von 2.200 Merinoschafen auf die Wanderreise. Zwei der neun wichtigsten Cañadas (Wege für die Herden), die berühmte "Ruta de la Plata" und die Cañada Leonesa wurden sehr genau untersucht und alle inzwischen unpassierbaren Orte dokumentiert. 

 

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Iberischer Luchs  

Das Projekt wurde ein großer Erfolg und hatte „Riesenpresse“!  Jeden Oktober wurden die Herden beispielsweise und provokativ (aber auch mit vollem Recht) quer durch Madrid über die alte Cañada der Puerta de Alcalá getrieben. Das legte den Autoverkehr der Metropole lahm. Aber dafür begleitet von bis zu 50.000 begeisterten Menschen, welche die Schafherden wie die Teilnehmer der Tour de France bejubelten. Die Finca (Farm) "Talaván", welche von der Fundación (Stiftung) Global Nature España im Rahmen des Projekts erworben wurde, ist die erste ökologisch arbeitende Farm in der gesamten Extremadura.

Im Moment arbeitet die Fundación Global Nature España im Wesentlichen daran, neue Möglichkeiten für die Transhumanz aufzuzeigen. Dazu zählt sicher die Haltung alter und gefährdeter Haustierrassen, die sich bestens an das Klima, die Sommerhitze und den kargen Boden anpassen und hervorragende Fleischprodukte aus ökologischer Viehzucht liefern können. Neue Vermarktungsstrategien für z B die "Produkte aus der Transhumanz" oder die natur-touristische Nutzung der Cañadas (Wege der Herden), die überall durch Spaniens Natur- und Kulturreichtum leiten, sind auch wichtige Gründe, die Transhumanz in unserer Zeit wieder zu einem Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften und ökologische Landwirtschaft zu machen.

 

Ein weiteres Beispiel für die Bemühungen und dabei auch leiser Protest für den Erhalt dieser Landschaften und Wiederbelebung alter Wirtschaftsweisen sind die an vielen Orten stattfindenden Fiestas. Sie sind nicht nur Veranstaltungen für rückwärtsgewandte Nostalgiker, sondern sehr lebendige Veranstaltungen für Jung und Alt inklusive der touristischen Gäste. Beispielsweise in Castilien-Leon im Dorf Cuevas del Valle (Sierra de Gredos) gibt es jeweils im Juni die „Fiesta de la trazhumancia“. Schafe werden durch das Dorf getrieben, Rinder und Pferde ebenso. Auf der Plaza de toros (Stierkampfplatz) werden dann die Schafe geschoren. Dabei gibt es Freibier und kostenlose Bocadillos (Brötchen) mit Fleisch vom Grill. Das ganze Dorf ist auf den Beinen, mit Musik und ausgelassener Stimmung. 

Der Autor

Stephan Martens

Die Natur ist meine Leidenschaft. Und mein Traumberuf seit rund 20 Jahren Reiseleiter: Genauer gesagt bin ich Naturreiseleiter und leite auch Ornithologische Touren. Ökologische Zusammenhänge und die anthropogenen Auswirkungen finde ich spannend. Mit Gästen Naturbegeisterung teilen, das gefällt mir.

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Spanien ist unser zweites Heimatland. Hier verbringen wir gerade im Norden und der Extremadura oft viele Monate im Jahr. Wir beobachten hier nicht nur Vögeln, Bären, Wolf und Luchs hautnah, sondern möchten auch die Zusammenhänge und Geschichte besser verstehen. Nur so können wir unseren Gästen auf unseren Rundreisen ein komplettes Bild bieten und Ihnen ein echtes und anderes Spanien zeigen!

Danke für Ihr Interesse!

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Sabrina & Stephan auf der Fiesta de la Trashumancia in der Sierra de Gredos im Juni 2022 

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